Short-Term thinking bei deutschen Labels

fakerock1

In den letzten Jahren hat sich die Musikindustrie – besonders in Deutschland – stark verändert. Was früher ein langfristiger Aufbau war, wirkt heute eher wie ein Rennen auf Zeit. Der Hauptmotor dieser Entwicklung: Social Media. Plattformen wie TikTok, Instagram Reels oder YouTube Shorts geben nicht nur den Ton an, sondern beeinflussen mittlerweile auch massiv die Strategien vieler Labels.

Vor allem A&Rs richten ihren Blick zunehmend auf die digitale Präsenz von Künstler*innen. Followerzahlen, Engagement-Raten und virale Trends stehen oft im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer gerade performt, gilt als „attraktiv“ – denn ein Hype verspricht Reichweite, Streamingzahlen und idealerweise eine schnelle Refinanzierung des Investments.

Die kurzfristige Denke: Viralität statt Vision

Es ist kein Geheimnis mehr: Wer heutzutage einen Plattenvertrag will, sollte besser vorher viral gehen. Eine Million Streams? Besser zwei. TikTok-Trend? Pflicht. Es reicht oft nicht mehr, eine starker Künstler*in zu sein – man muss performen, und zwar nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem im Feed.

In deutschen A&R-Büros wird weniger nach Klang gesucht, sondern nach Kurven – die Aufwärtsbewegung der Zahlen ist oft entscheidender als die Qualität eines Demos. Klar, Labels wollen Risiko minimieren. Verständlich. Doch was passiert, wenn künstlerische Entwicklung, Handschrift und Vision dem Algorithmus geopfert werden?

Die Antwort: Es entstehen Karrieren, die nicht gebaut, sondern gebastelt werden – aus Snippets, Trends und Hooklines, die in 15 Sekunden funktionieren müssen. Eine langfristige Entwicklung? Fehlanzeige. Künstler*innen, die vielleicht eine eigene Sprache oder ein neues Soundbild mitbringen, bleiben oft auf der Strecke, weil sie sich (noch) nicht „monetarisieren“ lassen.

„Viral“ wird heute zu oft mit „wertvoll“ verwechselt. Ein Track, der durch die Decke geht, wird schnell als Maßstab genommen – egal, ob er Tiefe hat oder nur auf dem Rücken eines Trends surft. Die Folge: Die Industrie produziert immer öfter für die For You Page, nicht fürs Albumregal. Dabei ist Musik doch eigentlich mehr als ein Content-Piece im Scroll-Strom.

Was fehlt, ist Vertrauen. Vertrauen in Aufbau statt Abverkauf. In Künstler*innen, die sich entwickeln dürfen. In Visionen, die vielleicht nicht sofort recoupen – dafür aber eine echte Fanbase schaffen und eine Szene prägen.
Denn was am Ende bleibt, ist nicht der eine Clip mit 3 Millionen Views. Sondern das, was danach noch erzählt werden kann.